|
|
|
Was leisten Atelierhäuser |
|
|
|
|
|
|
Wer in seiner Vorstellung von künstlerischer Produktion
noch die Idylle von Mont Martre im Hinterkopf hat, sollte diese Vorstellung
im 19. Jahrhundert ablegen. Längst ist der Künstler ein Kleinunternehmer,
dessen Arbeit sich im Schnittpunkt geistigen, handwerklichen und wirtschaftlichen |
|
Schaffens abspielt. Ein weitgehend besetzter Markt und die Tatsache,
dass der junge Künstler diesen Beruf auf allen drei Gebieten trotz
Akademie- ausbildung fast als Autodidakt beginnt, macht den Start besonders
schwer. Andererseits stelle man sich vor, welchen geistigen und kulturellen
Verlust es bedeutete, wenn nur noch diejenigen Künstler |
|
|
die Öffentlichkeit erreichten, die sich im wesentlichen
durch wirtschaftliches Geschick oder durch ausreichend materiellen Hintergrund
qualifizieren.
Solches zu verhindern ist eine der wesentlichen Aufgaben von Atelierhäusern,
wie das in der Nordbahnhofstraße 45 und einer Reihe weiterer in
Stuttgart.
Kritik wird immer wieder an der öffentlichen Förderung solcher
Institutionen geäußert. Nur allzu gerne sind populistische
Politiker bereit, solcher Kritik folgend, gerade bei der Kulturförderung
in besonderem Maße den Rotstift anzusetzen. Dass die Atelierförderung
hier besonders in der Schusslinie kurzsichtiger Sparkommissare liegt,
verwundert nicht. Einem Baum gleich liegen hier die kaum sichtbaren
Wurzeln einer lebendigen Kulturszene, wenig repräsentativ, oft
kaum bemerkt und unspektakulär, kurz, ungeeignet zur persönlichen
Profilierung von Politikern und dennoch kostenintensiv. Solches Denken
ist bestenfalls mit Unwissenheit zu entschuldigen. Wer denkt schon daran,
dass zahlreiche Arbeiten, auch aus der Nordbahnhofstraße 45, heute
als bleibende Werte bedeutende Sammlungen zieren. Wer fragt schon danach,
woher die Arbeiten in Ausstellungen kommen, die von den Medien als gesellschaftliche
Ereignisse gefeiert werden, wer Bühnenbilder schafft, Fernsehstudios
anspruchsvoll möbliert oder auch in anderen angewandten |
|
|
Bereichen Qualitätsmaßstäbe
setzt. Immer wieder sind es Künstler, die teils selbst, teils
im Zusammenspiel mit anderen Disziplinen unsere geistige und materielle
Umwelt formen.
Räumliche Enge und Auseinandersetzungen zwingen manche hochtrabenden
Pläne ebenso auf den Boden der Realität, wie die wirtschaftlichen
Grenzen. Andererseits entstehen in einem Atelierhaus auch |
|
|
|
|
Freundschaften und Kooperationen. Gegenseitiger Austausch
und Informationsfluss schafft neue Möglichkeiten, und gemeinsame
Einrichtungen machen vieles erst ökonomisch realisierbar, zudem
profitieren oft alle von den Erfahrungen einzelner.
...
Wer heute, in Unkenntnis der Produktions- und Ver- marktungsbedingungen,
versucht, das aktuelle Kunst- geschehen zu verstehen, wird sich schwer
tun. Eine gute Gelegenheit, neue Zugänge zur Kunst zu finden, ist
der Besuch eines Atelierhauses. Im Atelier liegt der Schnittpunkt von
individueller Kreativität, gesellschaftlichem Anspruch und ökonomischen
Bedingungen. Ein Kunstverständnis ohne Kenntnis dieser Keimzelle
aller Entwicklungen bleibt an der Oberfläche. Dies galt schon für
die Vergangenheit und gilt umso mehr heute, in einer Zeit, in der das
Kunstwerk oder Produkt oft nur noch als Station eines fortwährenden
Prozesses zu verstehen ist.
|
|
|
|
Frieder Kühner
|
|
|
|
(Textauszug einer Dokumentation anlässlich des zehn- jährigen
Bestehens des Atelierhauses in der Nordbahnhof- straße 45) |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|